Geister, Zombies, Spinnenbeine – was wirklich Grusel an deinem Spieltisch erzeugt.
Klirr! Da geht die Scheibe zu Bruch. Sofort stellen sich dir die Nackenhaare auf. Du musst schwer schlucken. Die anderen Kinder verstummen augenblicklich. Ausgerechnet in dieses eine Haus flog der Ball. Spuken soll es dort. Eine Hexe soll dort wohnen. Tausend Gedanken surren dir durch den Kopf, und diese eine Frage: Traust du dich? Die anderen Kinder werden langsam unruhig: „Angsthase!“, ruft einer. „Feigling!“, eine andere. Das kannst du dir doch nicht bieten lassen. Adrenalin schießt durch deinen Körper, Angstschweiß perlt auf deiner Stirn. Widerwillig und mit wackeligen Knien gehst du schließlich auf das unheimliche Haus zu …
Von Kindesbeinen an fasziniert uns Grusel. Es kann eine Mutprobe sein, sich in das gruselige Haus zu trauen oder sich in den Kinofilm zu schleichen, den dir die Eltern (aus guten Gründen) verboten haben. Grusel zu überwinden kostet Mut und Entschlossenheit. Wir springen über unseren eigenen Schatten, besiegen unsere Ängste. Aus Gruselgeschichten können Held*innen erwachsen. Und so ist es nicht verwunderlich, dass Grusel auch ein steter Begleiter im Pen-&-Paper-Rollenspiel ist.
Grusel am Spieltisch
Ich habe mich in den letzten Monaten vermehrt mit Grusel und Horror auseinandergesetzt – nicht zuletzt durch die Kurzgeschichten von H. P. Lovecraft und das daraus entstandene Rollenspiel Call of Cthulhu. Und ich habe mich gefragt, was wir Spielleiter*innen eigentlich tun können, um das wohlige Schaudern auch an den Spieltisch zu bringen. Daraus sind diese vier Tipps entstanden, die aber keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit haben.
Vorab aber zwei Hinweise: Das Empfinden von Grusel ist sehr individuell. Was die einen als gruselig empfinden, kann für andere lächerlich wirken. Und: Bei Grusel wird’s auch schnell persönlich. Vielleicht hat jemand bei dir am Spieltisch Angst vor dem Meer wegen einer dramatischen Erfahrung aus der Kindheit? Oder verbindet mit Untoten grundsätzlich die kürzlich verstorbene Tante? Was für die einen spaßiger Grusel sein kann, mag für andere aufwühlend oder gar verstörend sein – und gehört daher nicht an seinen oder ihren Spieltisch. Sprich vorher mit deinen Spieler*innen über Grenzen im Spiel, damit du anderen nicht die Freude am Spiel zerstörst.
1. Ekel und Ängste
Ganz klassischen Grusel findest du in jeder Geisterbahn und in jedem 0815-Horrorfilm. Spinnen krabbeln von der Decke herab, alptraumhafte Monster springen aus der dunklen Ecke, Totenschädel, Krötenschleim, Maden, Ratten, … Du kennst sicher noch mehr dieser Klassiker. Sie spielen mit unseren Urängsten. Wir können gar nicht anders als uns zu sträuben und vor Ekel abzuwenden.
Als Spielleiter*in kannst du diese Ängste nutzen, um Grusel am Spieltisch zu erzeugen (bitte beachte dabei aber den Hinweis oben). Das Bild eines gruseligen Untoten, das Modell einer Schwarzen Witwe oder der Plastik-Totenschädel als Kerzenständer sind vielleicht abgedroschen, können ihren Zweck aber erfüllen (oder zumindest eine Grundstimmung erzeugen).
Pen & Paper spielt sich jedoch zu einem großen Teil im Kopf der Spieler*innen ab. Dort musst du hin! Ein Weg ist eine stimmungsvolle Beschreibung. Achte vor allem darauf, die Sinne deiner Spieler*innen anzusprechen: An der Wand sitzt eine große Spinne. Das jagt niemandem Angst ein. Wenn deine Spieler*innen dank deiner Beschreibung aber förmlich spüren können, wie sich das haarige Biest ihnen nähert, schon eher:
Keifende Beißzangen fauchen dir entgegen. Ein fauliger Geruch strömt dir entgegen. Du glaubst dein erschrockenes Gesicht als Reflexion in den acht Augen der Spinne zu erkennen. Ihr Blick durchdringt dich. Als sich die dicken, haarigen Beine in Bewegung setzen, verspürst du den Drang, imaginäre Spinnen von deinem Körper abzuschütteln.
In meinem anderen Blogartikel findest du weitere Tipps zum sinnvollen Erzählen. Besonders hilfreich finde ich auch den Hinweis von Guy aka Great GM auf YouTube, der vor allem Spotlight-Beschreibungen nutzt. Die Idee dahinter: In einer realen Situation inspizieren wir ja schließlich auch nicht den gesamten Leib der ekligen Spinne, sondern schauen uns vor allem die Teile an, die uns besonders erschauern lassen.
Das Bild, das du damit im Kopf deiner Spieler*innen erzeugst wird für sie viel eindrücklicher und individuell gruseliger sein, als es dein Plastikmodell je sein könnte.
2. Hilflosigkeit
Ein grausig-schönes Beispiel für dieses Grusel-Element ist die Filmreihe Paranormal Activity. Wir sehen, wie scheinbar von Geisterhand Türen auf- und zugeschlagen werden und müssen miterleben, wie sich die Protagonist*innen unwissend immer weiter in Gefahr bringen. Wir fühlen uns als Zuschauer*innen dabei besonders hilflos, weil wir alles lediglich durch die Aufnahmen der Überwachungskamera sehen. Wir können nicht eingreifen. Wir würden gerne, können aber nicht. Es passiert, niemand kann etwas daran ändern.
Diese Hilflosigkeit, dieser Kontrollverlust spielt auch mit unseren Urängsten, die wir alle mindestens einmal erlebt haben: in unseren Albträumen.
In der germanischen Mythologie gibt es sogar ein eigenes Wesen dafür, den geisterhaften Nachtmahr (oder Nachtalb). Während wir schlafen, sitzt er auf unserer Brust und verpasst uns fiese Alpträume. Wenn wir aufwachen, spüren wir daher Druck auf der Brust, ein Beklemmungsgefühl, Albdruck genannt. Auf das Rollenspiel übertragen, kann ich mir auch andere Momente der Hilflosigkeit als gruselig vorstellen: etwa die ausgelöschte Erinnerung nach einen trinkfreudigen Abend oder gar die Besessenheit von einem Dämonen, der die Held*innen zu Handlungen zwingt.
Hilflosigkeit kann ein mächtiges Werkzeug für Grusel am Spieltisch sein – aber wir müssen es gut dosieren. Zu viel Hilflosigkeit im Rollenspiel kann schnell als Railroading empfunden werden. Hilflosigkeit mindert das Gefühl von Selbstwirksamkeit. Wer hilflos ist, kann nicht glänzen. Die Aktionen der Spieler*innen rücken in den Hintergrund, werden bedeutungslos.
Du könntest Hilflosigkeit beispielsweise dosieren, indem
- die Held*innen ihre Ausrüstung in einer brenzligen Situation für eine begrenzte Zeit nicht zur Verfügung haben,
- du deine Gruppe einen Albtraum erleben lässt, in dem sie nur stark eingeschränkt interagieren können (z.B. können sie nicht sprechen),
- die Held*innen eine schreckliche Situation beobachten, in die sie erst zeitverzögert eingreifen können,
- deine Gruppe eine durchzechte Nacht erst nach und nach durch Rückblenden erleben und nur manche ihrer (alkoholisierten) Handlungen beeinflussen kann.
Ich bin mit solchen Eingriffen in die Handlungsfreiheit der Gruppe immer vorsichtig. In einem begrenzten Rahmen und zum Zweck des Grusels ist das aber durchaus vertretbar. Schließlich verliert ein Albtraum immer dann seine angsteinflößende Wirkung, wenn wir selbst aktiv werden können.
3. Das Unbekannte
Zurück zum Beispiel mit dem Fußball im Gruselhaus. Wovor hat das Kind überhaupt Angst? Geister? Hexen? Wahrscheinlich gibt es unzählige Geschichten über das Haus, eine gruseliger als die andere. Was dem Kind jetzt Mut abverlangt, ist die Überwindung, dem nachzugehen. Es muss den Schatten lüften, die gruselige Wahrheit herausfinden. Erst dann werden wir wissen, womit wir es zu tun haben. Bis es soweit ist, ist Gänsehaut garantiert. Was uns Angst macht, ist nicht der schaurige Geist oder die böse Hexe, sondern die Ungewissheit. Das Unbekannte macht uns Angst, denn wir wissen nicht, was wir dagegen tun können.
Es gibt unzählige Beispiele aus Filmen für dieses Grusel-Element: etwa der erste Aliens-Film, die Horror-Streifen Rec oder Blair Witch Project, der Klassiker Jaws oder die Serie Game of Thrones (hier speziell die untoten White Walker). Häppchenweise nähern wir uns in diesen Beispielen der Wahrheit an. Wir bekommen nur einen Vorgeschmack, eine Vorahnung auf das, was uns bevorsteht.
Übertragen auf Pen & Paper geht es hierbei vor allem um die Vermittlung von Informationen. Präsentierst du deinen Spieler*innen gleich zu Beginn den bösen Tatzelwurm, der in Höhle am Berghang sitzt, kann sich die Gruppe minutiös auf den Angriff vorbereiten. Sie wissen, was sie erwartet.
Was aber, wenn sie nur die schrecklichen (und vielleicht widersprüchlichen) Geschichten in der Dorfschänke aufschnappen: über leuchtende Augen im Dunkeln, über den widerlichen Gestank und die Todesschreie aus den umliegenden Höhlen? Die Spieler*innen erwarten dann keinen Tatzelwurm, sondern irgendetwas Todbringendes. Schon sprudelt die Fantasie am Spieltisch. Vielleicht fabuliert ein*e Held*in eine Geschichte passend zur eigenen Totenangst herbei?
Je sparsamer du mit konkreten Informationen umgehst, desto länger zieht sich die Unsicherheit und schafft Raum für gruselige Platzhalter.
4. Das Ende der Gewissheit
Ich komme jetzt endlich auf H. P. Lovecraft zu sprechen. Der Amerikaner gilt als einer der Urväter des Horror. Seine Kurzgeschichten haben ein eigenes (literarisches) Universum gegründet, den Cthulhu-Mythos, dessen Einfluss sich wie Tentakeln durch unsere Popkultur zieht. Für uns natürlich besonders interessant ist das dazugehörige Pen-&-Paper-Rollenspiel, das seit 1981 unter dem Titel Call of Cthulhu grausige Geschichten erzählt. Hier erfahren die Spieler*innen den Horror bereits über den Spielmechanismus. Ein eigener Wert (Geistige Stabilität) drückt aus, wie bald die SCs dem Wahnsinn verfallen. Auch das ist eine Form der Hilflosigkeit, wenn du mich fragst. Aber für dieses letzte Grusel-Element will ich auf den Cthulhu-Mythos Bezug nehmen und weniger das Rollenspiel.
Lovecrafts Geschichten spielen meist an der US-Ostküste der 1920er Jahre, wo er selbst die meiste Zeit seines Lebens zubrachte. Es ist eine Zeit der technologischen Entwicklung, der Rationalisierung, der Wissenschaft. Expeditionen lüften die Geheimnisse der letzten schwarzen Flecken auf unseren Landkarten, Impfungen rotten Krankheiten aus, die Glühbirne bringt Licht ins letzte dunkle Eck. Kurzum: Die Menschheit entlockt der Welt ihre letzten Geheimnisse. Alles wird erklärbar.
Bei Lovecraft bekommt diese erklärbare, nicht-magische Welt plötzlich Risse. Es tauchen Monster auf, die den Gesetzen der Physik widersprechen. Menschen verhalten sich merkwürdig. Alle Versuche, wissenschaftliche Erklärungen dafür zu finden, wirken hilflos und sind zum Scheitern verurteilt. Lovecraft erzeugt mit diesem Brechen der Gewissheit Grusel und Horror. Das Unerklärliche wird zum unbesiegbaren Gegenspieler.
Dieses Zerbröseln von geglaubten Gewissheiten lässt sich wunderbar an den Spieltisch übertragen. Vielleicht stößt die Gruppe auf einen NSC, der seinen Körper widernatürlich verdreht? Vielleicht finden die Held*innen ein fliegendes Haus, das den Gesetzen der Physik trotzt? Aber schon Kleinigkeiten können dazu beitragen: Lovecraft beschreibt etwa Tempelruinen, die mit Formen verziert sind, die der Geometrie widersprechen. Oder Wesen, die so hässlich sind, dass sie in unserer Sprache nicht beschrieben werden können.
Hier gibt es aber auch Grenzen. Wer in einer Fantasy-Welt spielt, hat keine rational erklärbare Welt, die aufgebrochen werden kann. Wenn Feuerbälle, Hexenbesen und Drachen durch die Welt fliegen, ist die Physik längst gebrochen. Orientiere dich für den Einsatz dieses Grusel-Elements daher an den Werkzeugen, die dir und dem Spieltisch für gewöhnlich zur Verfügung stehen, um etwas einzuordnen und zu erklären – und mach das dann kaputt.
Die Stimmung macht’s
All diese Grusel-Elemente funktionieren natürlich nur, wenn du damit den Nerv deiner Gruppe triffst. Erst, wenn sich die Spieler*innen darauf einlassen (und damit auch wohlfühlen), kann ein wirklich gruseliges Spiel entstehen. Du kannst das unterstützen, indem du für eine passende Stimmung sorgst. Beleuchtung und Musik, aber auch Sprache und das Rollenspielen selbst können dafür den entscheidenden Kick geben.
Und du?
Fallen dir weitere Tipps für Grusel am Spieltisch ein? Hast du schon Erfahrungen gesammelt? Ich freue mich auf deine Kommentare!
Ich versuchs mal von der anderen Seite: Was verhindert garantiert Grusel? Es gibt in Pathfinder einige Versuche klassische und Lovecraft Horror Thematiken aufzugreifen, die meiner Erfahrung nach an den hohen Powerlevel und dem heroischen Charakter des Spiels scheitern. Ältere Götter verlieren ihren Schrecken wenn die von einer Bande Barbaren vermöbelt werden.